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Stellungnahmen Wissenschaft
Nach dem EUGH-Urteil (C-528/16) zu Mutageneseverfahren:
Standpunkte und Stellungnahmen aus der Wissenschaft
Die Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit (ZKBS) sieht einen dringenden Anpassungsbedarf für das europäische Gentechnikrecht, das wesentlich auf dem Wissensstand von 1990 beruht. Das EuGH-Urteil vom 25. Juli 2018 beziehe die vorangegangenen Bewertungen anerkannter Institutionen nicht mit ein, u. a. der European Academies Science Advisory Council (EASAC), der High Level Group of Scientific Advisors (part of Scientific Advice Mechanism – SAM), der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech.
Der deutsche Bioökonomierat konstatiert, dass die Gentechnik sich seit 2001 dramatisch weiterentwickelt habe und das geltende EU-Gentechnikrecht den aktuellen Herausforderungen nicht mehr gerecht werde. Der Bioökonomierat plädiert dafür, das EU-Gentechnikrecht zeitnah an den veränderten technologischen Entwicklungsstand sowie den inzwischen erreichten wissenschaftlichen Erkenntnisstand anzupassen. Damit würde auch der ursprünglichen Zielsetzung des nationalen Gentechnikgesetzes Rechnung getragen, das Anfang der 1990er Jahre explizit zur Förderung und Ermöglichung der Gentechnik und mit der Intention, die Regelungen an den technischen Fortschritt anzupassen, verfasst wurde.
Nach Auffassung der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften sollte nicht das Züchtungsverfahren für den Gesetzgeber ausschlaggebend sein, sondern das Produkt. Die neuen molekularen Züchtungsmethoden seien weitaus präziser und sicherer als nicht regulierte konventionelle Züchtungsmethoden, wie die durch Strahlen induzierte Mutagenese. Da die Richter nach geltender Rechtslage geurteilt haben, könnten die großen Potentiale der neuen Methoden für die Landwirtschaft nur durch eine Rechtsänderung ausgeschöpft werden.
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hält fest, dass viele MPG-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler nachdrücklich einen europäischen politischen Prozess mit dem Ziel einer aktualisierten Gentechnik-Gesetzgebung fordern, welche mit dem Fortschritt in der Gentechnologie und Innovation in Europa vereinbar ist und dabei bei Anwendungen der Genom-Editierung zwischen denjenigen unterscheidet, die die natürlichen Mutageneseprozesse nachahmen, und solchen, die mehr Kontrolle erfordern.
Im Rahmen einer nachfolgenden Stellungnahme, wird erneut gefordert, die europäische Gesetzgebung an den aktuellen Forschungsstand anzupassen.
Die Argumentation der EuGH-Richter, dass sich die mit der Anwendung dieser neuen Mutagenesetechniken verbundenen Risiken als ähnlich erweisen könnten wie bei der Herstellung und Freisetzung eines gentechnisch veränderten Organismus (GVO) durch Transgenese verwässern nach Auffassung der Direktoren am Max Planck Institut für Pflanzenzüchtungsforschung (MPIZ) grundlegende Unterschiede zwischen Gen-Editierung und transgener Technologie. „Hochspezifische Methoden, wie beispielsweise CRISPR-Cas9, können verwendet werden, um ein einzelnes Gen innerhalb eines Genoms, das Zehntausende von Genen enthält, selektiv zu deaktivieren. Die Sequenzierung des gesamten Genoms der resultierenden Mutante (das Jahr für Jahr einfacher und billiger wird) und der Vergleich mit dem Original kann dann zeigen, ob irgendwelche anderen unerwünschten Veränderungen stattgefunden haben. Kein fremdes genetisches Material wird eingeführt. Außerdem ist das Verfahren im Vergleich zu herkömmlichen Techniken wie der strahleninduzierten Mutagenese in seiner Präzision chirurgisch. Wie an anderer Stelle argumentiert wurde, sollte die Sicherheit einer mutierten Pflanze nicht durch die Technik bestimmt werden, mit der sie erzeugt wird, sondern durch die endgültige genetische Zusammensetzung der Pflanze selbst. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass tausende Sorten mutierter Nutzpflanzen, die unter Verwendung des „Schrotflinten-Ansatzes“ mit chemischer oder strahleninduzierter Mutagenese erzeugt wurden, für die Vermarktung zugelassen wurden und täglich von Millionen Menschen konsumiert werden.“
Das Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaften CEPLAS (Cluster of Excellence on Plant Sciences) wendet sich gegen die pauschale Einordung der neuen Züchtungsmethoden als GVO. Man sieht das Urteil nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse begründbar. Da die mehr als 20 Jahre alte Gesetzgebung zu GVOs weder dem Stand des Wissens entsprechen würde, noch den Entwicklungen im Landwirtschaftssektor Rechnung trage, sieht man eine Novellierung der Gesetzgebung mit spezifischen Regelungen für die Nutzung der Genom-Editierung als dringend angezeigt.
Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus rund 85 deutschen und europäischen Forschungseinrichtungen unterzeichnen ein vom belgischen Flanders Institute for Biotechnology (VIB) initiiertes Positionspapier, in dem sie fordern, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu erneuern, so dass neue Züchtungstechnologien nicht pauschal unter die strenge EU-Regulierung für Gentechnik fallen.
Auf Initiative von Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V. (WGG) und Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO e.V.) haben sich über 300 Akteure der akademischen Pflanzenforschung in einem Offenen Brief an die Bundesministerinnen für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, sowie Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, gewandt: Die geltende Gesetzgebung, auf der die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) beruht, entspräche längst nicht mehr dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Die juristische Bewertung durch den EuGH sei daher auch diametral entgegengesetzt zur Bewertung wissenschaftlicher Gremien, die von der Europäischen Kommission eingesetzt wurden. Die Wissenschaftler sehen deshalb die Politik am Zug, diesen Widerspruch aufzuheben und für eine entsprechende Anpassung des Gesetzes zu sorgen[.
Die Deutsche Botanische Gesellschaft (DBG) appelliert, ´dass jenseits der Judikative, die den gesetzlichen Rahmen lediglich auslegt und eine der möglichen Interpretationen gewählt hat, die beiden grundsätzlichen Adressaten wieder in den Blick genommen werden: die Öffentlichkeit und die Legislative. In Anbetracht des voranschreitenden Klimawandels reife hoffentlich auch in der breiten Öffentlichkeit die Erkenntnis, dass alle sicheren Wege genutzt werden müssen, um unsere Nahrungssicherheit zu realisieren und nachhaltige Anbauweisen zu entwickeln. Darüber hinaus sei die Legislative anzusprechen, um über gesetzgeberische Maßnahmen eine angemessene Regulierung gegebenenfalls innerhalb des Gentechnikgesetzes zu bewirken, das noch aus dem Jahr 2001 stammt.
Die Deutsche Gesellschaft für Genetik (GfG) verweist auf die negativen Auswirkungen des Urteils für Forschung und Entwicklung in Europa. Kritisiert wird die prozess- und nicht produktbezogene Sichtweise der Richter, die diametral entgegengesetzt zur Meinung der meisten Forscher und Wissenschaftsorganisationen stünde. Genom-editierte Organismen seien nicht unterscheidbar von Organismen, die durch Zufallsmutagenese generiert wurden. Somit sei es widersinnig und wissenschaftlich nicht haltbar, hier eine Unterscheidung aufrecht zu erhalten, die im Zweifelsfall nicht überprüft werden könnte.
Unter Federführung der Association Française des Biotechnologies Végétales (AFBV) und des Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik (WGG) wendet sich die „European Initiative for Plant Genome Editing“ (u.a. unterstützt von der „Die Union der Europäischen Akademien der Wissenschaften für Landwirtschaft, Ernährung und Natur“ -UEAA) in einem 2. offenen Brief an die EU-Kommission und unterbreitet Vorschläge zur Umsetzung des EuGH-Urteils.
117 deutsche und europäische Forschungseinrichtungen appellieren zum Jahrestag des EuGH-Urteils an die neu gewählten Institutionen, Hemmnisse bei der Züchtung neuer Pflanzensorten zu beseitigen. In einem Offenen Brief fordern die Unterzeichner die europäischen Institutionen, darunter den Europäischen Rat, das neue Europäische Parlament und die kommende Europäische Kommission, dringend auf, geeignete rechtliche Schritte einzuleiten, damit europäische Wissenschaftler und Züchter die Genomeditierung für eine nachhaltige Landwirtschaft anwenden können.
Auf Initiative des französische Pflanzenforschers Benoît Lacombe starten Pflanzenwissenschaftler eine Petition, mit der sie zu einer Überprüfung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs auf der Grundlage von aktuellen wissenschaftlichen Fakten aufrufen. Die EU-Kommission wird aufgefordert, pflanzengenetische Techniken auf wissenschaftlicher Grundlage zu regulieren und alle Bemühungen zu unterstützen, die die Ernährungssicherheit verbessern und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern.
In einer Stellungnahme legt die mit sieben eminenten Wissenschaftlern besetzte Gruppe der wissenschaftlichen Chefberater der Europäischen Kommission («Group of Chief Scientific Advisors» – SAM) dar, dass die bisherige Richtlinie für die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr ihren Zweck erfülle. Sie empfiehlt daher eine Überarbeitung der bestehenden Bestimmungen auf Basis des aktuellen Wissensstandes. Den Sicherheitsbedenken des Europäischen Gerichtshofs gegenüber neuen Züchtungsverfahren hält sie entgegen, dass die Wahrscheinlichkeit unbeabsichtigter Veränderungen in Produkten des Genome Editings niedriger sei als bei Produkten zufälliger Mutagenese (z. B. durch Chemikalien). Daher seien Produkte des Genome Editings potenziell sicherer. Grundsätzlich sollten die regulatorischen Rahmenbedingungen die Eigenschaften des Produktes wesentlich stärker gewichten als bisher, und weniger stark auf den Herstellungsprozess ausgerichtet sein. Die Unmöglichkeit, zwischen spontan entstandenen Mutationen und solchen, die durch menschliche Mitwirkung entstanden sind zu unterscheiden, sei aus Sicht der Regulierung ein großes Problem. Daher seien die Bestimmungen der aktuellen GVO Richtlinie für Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für Importprodukte nur schwer umzusetzen und zu kontrollieren. Ohne Anpassung der Bestimmungen für genomeditierte Produkte drohe die EU, auf diesem Gebiet zurückzubleiben. Angesichts der sehr unterschiedlichen Positionen bei der Regulierung für GVO sei allerdings ein breiter Dialog mit Stakeholdern und der Öffentlichkeit wichtig.
Die Europäische Organisation für Pflanzenwissenschaften (EPSO) sieht in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einen Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es werde den Einsatz solcher Technologien in Europa zur Verbesserung der Ernährungssicherheit und der positiven Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt sehr wahrscheinlich verhindern.
Studierende der Universität Wagening/Niederlande aus acht Ländern haben die offiziell anerkannte EU-Bürgerinitiative Grow scientific progress: crops matter! auf den Weg gebracht. Der Kern ihres Gesetzesvorschlags: Genome-editierte Pflanzen sollen nicht mehr als GVO gelten, wenn sie keine „fremde“ DNA enthalten und auch durch herkömmliche Züchtung hätten entstehen können. Die Initiative ist seit dem Juli 2019 registriert und benötigt eine Million Unterstützer, um das Anliegen auf die Tagesordnung der EU zu setzen.
In einer gemeinsamen Stellungnahme formulieren Leopoldina, Akademienunion und DFG Empfehlungen, um eine wissenschaftlich begründete Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU zu erreichen. Unter anderem empfehlen sie die Novellierung des Europäischen Gentechnikrechtes. So sollte als kurzfristige Maßnahme die GVO-Definition dahingehend überarbeitet werden, dass genomeditierte Pflanzen nicht als GVO gelten, wenn keine artfremde genetische Information enthalten ist – in Analogie zu mit konventionellen Züchtungsmethoden veränderten Pflanzen. Ebenso sollte es sich nicht um einen GVO handeln, wenn eine Kombination von genetischen Informationen vorliegt, die sich auch auf natürliche Weise oder mit konventionellen Züchtungsmethoden ergeben könnte. Langfristig sei aber nur ein völlig neuer Rechtsrahmen konsequent, heißt es in der Stellungnahme. Dieser sollte bei der Beurteilung von Risiken für Mensch und Umwelt nicht auf die Verfahren abstellen, mit denen neue Sorten erzeugt werden, sondern auf deren neuartige Merkmale.
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